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Rezension: Grundlagen der (russischen) Soziologie

Samstag, 01. September 2012 09:59 | Zugriffe: 4454 |

Eine Rezension von Oksana Buhay und Alexej Nikischin in Unterstützung von Nadine Jenke und Benjamin Köhler:

 

 

"Grundlagen der (russischen) Soziologie” – Eine Rezension von Oksana Buhay und Alexej Nikischin Posted on 25/06/2011 by Alexej Nikischin Oksana Bugay Das im Buch „Grundlagen der Soziologie. Band 1“ (Originaltitel: Основы социологии) vorgestellte Konzept wurde bereits einige Jahre vor dem Zerfall der Sowjetunion entwickelt. Unabhängig vom Autor, Land oder der Kultur soll jede soziologische Theorie allein anhand ihrer Substanz und Plausibilität analysiert werden und somit über jeder Ideologie stehen. Das Buch ist von einem Autorenkollektiv verfasst worden, welches eine autoren- und autoritätenfreie Kultur pflegt. Das Prinzip der Autoritätenfreiheit stellt dabei den Inhalt des Buches (die Information selbst) in den Vordergrund. Der Verfasser darf (laut Autor) nicht zum Idol werden und muss autoritätenbehaftetes Denken vermeiden.

 

 

Die Aufgabe der Soziologie sieht das Autorenkollektiv in der Analyse und Lösung der Probleme, welche im Rahmen ihres Gegenstands liegen. Die Motivation war groß genug, sich in einem freien Stil und frei von autoritätsbehaftetem Denken selbstständig und kreativ der Lösung der sozialen Probleme zu widmen.

Im Werk wird grundlegend das Problem der Metrologie geisteswissenschaftlicher Theorien und Modelle thematisiert. So sollen neben quantitativen Merkmalen auch qualitative Merkmale der metrologischen Bestimmung einer sozialen Erscheinung zugrunde liegen können. Diese müssen entweder durch eine messtechnische Basis, menschlichen Sinnesorganen oder dem theoretisch-logischem Verstand eindeutig nachvollziehbar sein (vgl. S. 13). Eine theoretisch-logische, verständliche Theorie oder Beschreibung einer sozialen Erscheinung riskiert durchaus, zu einer metrologischen Inkonsistenz zu werden. Denn der individuelle Gedankenprozess trägt stets einen subjektiven Charakter, der nicht immer für alle eindeutig ist.

Der Hauptgegenstand der ersten Untersuchung (Kapitel zwei bis fünf) ist das Individuum, welches das Grundelement des Systems „Gesellschaft“ bildet. Die Autoren teilen der individuellen Weltauffassung eine große Bedeutung zu: „Die wichtigste Funktion der Weltauffassung in der Psyche des Individuums liegt in der Tatsache, dass sie das Mittel zur Modellierung der objektiven Ereignisabläufe ist [...]“ (vgl. S. 40). Sie stelle eine Abbildung der realen Welt in uns dar und bestimme damit das Maß der Wahrheit, gemäß dem wir über die objektive Realität zu wissen glauben. Im zweiten Kapitel werden 3 mögliche formale Weltauffassungstypen vorgestellt: kaleidoskopartige, mosaikartige des Typs „vom Detail zum Allgemeinen“ und mosaikartige des Typs „vom Allgemeinen zum Detail“.

Alles, was uns Umgibt, inklusive uns Selbst, ist ein hierarchisch organisiertes System von ineinander verschachtelten und miteinander wechselwirkenden Prozessen. Unsere Sinnesorgane lassen uns erkennen, dass sowohl die Gesamtheit aller Prozesse, als auch jeder einzelne Teilprozess geordnet sind. Der Mensch ist Element der Gesellschaft, die wiederum Teilsystem des Kosmos ist. Es herrscht immer eine objektive Gesetzmäßigkeit, die sich nicht chaotisch ändert. Demzufolge kann jeder objektive Prozess als ein geregelter Prozess betrachtet werden. Die drei verallgemeinerten Grundunterscheidungen „Materie, Information, Ordnung (oder Maß)“ bilden die Basissubstanz in der Prozessregelung. Die Ordnung ist das Mittel zur Kodierung der Information – eine quantitative Geordnetheit der Materie. Die Materie selbst ist der Träger der Information.

Es gebe nichts, was kein Prozess ist, es existiere kein Prozess, der nicht regelbar ist, jede Regelung erfolge durch Einwirkung der Information, die in ihrem Wesen objektiv ist (vgl. S. 29 und Kapitel 6). Die Erscheinungen Raum und Zeit gelten hier als subjektiv, die in der Natur als solche allein nicht vorkommen. Im Grunde genommen lösen die Autoren so die Trennung zwischen den Gesetzen der Natur und den der Gesellschaft auf. Lediglich die Komplexität der quantitativen Ordnung der Materie ist ausschlaggebend.

Die aufschlussreichste Erkenntnis im ersten Band dieses Buches besteht in der Auffassung, dass soziale und technische Prozesse auf der Basis der Information regelbar sind. Bei technischen Prozessen bestimmen ausschließlich die Naturgesetze die zu regelnden Gesetzmäßigkeiten. Sie sind im Vergleich zu den Gesetzmäßigkeiten der sozialen Prozesse leicht nachzumessen und nachzuvollziehen und können von uns weitgehend beherrscht werden.

Soziale Gesetzmäßigkeiten sind, wie im Kapitel 6 beschrieben wird, aufgrund der evolutionsbedingter Hierarchie der Materienordnung deutlich komplexer. Als Element der Gesellschaft interagiert der Mensch ebenfalls in allen ihn umgebenden Prozessen als ein geregeltes System. Die Struktur der individuellen Psyche wird dabei als ein steuerndes informations-algorithmisches System analysiert.

Die Organisation der Informationskomponenten „genetische“, „kulturelle“, „vernunftbedingte“, „intuitive“ und „göttliche“ (vgl. S.85) bestimmen den Psychetyp und damit die Eigenart des Individuums. Die kollektive Psyche, als eine objektive Erscheinung, werde zwar im Prinzip durch individuelle Psychen geschaffen, jedoch wirke sie entscheidend bei der Formierung der werdenden Psyche des Individuums. Die regelnde Wirkung in Bezug auf das soziale Verhalten des Individuums und sozialer Gruppen übt weitgehend die Gesamtheit der kulturellen Information aus. (Unter Kultur wird hier die Gesamtheit der Information verstanden, welche im Laufe der Menschheitsgeschichte durch den Menschen erschaffen worden ist und über Generationen weitergegeben wird.).

Die Analyse aller möglichen regelnden Einflussmittel in Bezug auf soziale Prozesse des globalen historischen Prozesses ergibt deren Klassifikation nach sechs Prioritäten:

1.) Erkenntnismethodologie (Weltanschauung, Philosophie)
2.) Chronologische Information (Geschichte aller Wissenschaftsbereiche)
3.) Faktologie (Ideologien, Technologien, alle Wissenschaftsbereiche)
4.) Finanzmittel (Geld oder anderes materielles Gut)
5.) Mittel des Genozids
6.) Physische Mittel (physikalische Einwirkung)

In der Priorität spiegelt sich die Wirkungskraft des jeweiligen Regelungsmittels wieder, welche umgekehrt proportional zu ihrer Wirkungsschnelligkeit ist. So lässt sich z.B. durch die Einwirkung physischer Gewalt oder eines Genozids ein schnelles Ergebnis erzielen, die Nachhaltigkeit kann dadurch aber nur bedingt gewährleistet werden.

Der Einfluss von Information mit methodologischem oder chronologischem Charakter erbringt hingegen langfristig stabile Regelungsergebnisse, benötigt dafür allerdings eine entsprechend lange Zeit. Historische Prozesse beispielsweise lassen sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Wer die Geschichtsbücher schreibt, bestimme die Zukunft.

Die größte Bedeutung hat die Information mit erkenntnismethodologischem Charakter. Die Methodologie bildet unter anderem auch die Basis für das Erkennen und Verstehen der restlichen 5 Prioritäten. Die Erkenntnismethodologie erschafft die individuelle Weltauffassung, welche je nach Ihrer Art die objektive Welt so oder anders erscheinen lässt. Damit bestimmt sie über die Adäquatheit der Modellierung der Prozessabläufe und über den Erfolg der Kreativität. Demnach soll die Soziologie all diese Informationsklassen zu ihrem Untersuchungsgegenstand zählen, denn die Gesetzmäßigkeiten der sozialen Prozesse beruhen auf ihnen.

Im zweiten Teil des Buches stellen die Autoren ihr erstes erkenntnistheoretische Ergebnis vor – die „hinreichend allgemeine Theorie der Regelung“. Sie stellt die Methodologie dar, auf Basis deren der globale historische Prozess (Globalisierung) analysiert wird.


Quelle: Soziologie Magazin

 

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