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Anatomie des dominierenden Globalisierungskonzepts

Dienstag, 18. Februar 2014 19:53 | Zugriffe: 16585 |

Globalisierung – der Begriff

Der Begriff Globalisierung wird heute oft verwendet, jedoch nicht immer ist dessen Bedeutung eindeutig. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, zunächst mit der eigentlichen Bedeutung des Wortes klarzuwerden, bevor man sich der Problematik dieses Phänomens widmet.

Im allgemeinen Sinne kann man Globalisierung als einen Entstehungsprozess einer Kultur bezeichnen, welche die gesamte Weltbevölkerung vereinigt. Die Globalisierung wird charakterisiert durch die Integration unterschiedlicher Staaten und Völker in eine gewisse, vielleicht neue gemeinsame Kultur. Unter Kultur wird hier im weitesten Sinne des Wortes die Gesamtheit aller Information verstanden, welche vom Menschen geschaffen worden ist und über Generationen weitergegeben wird. Diese geschaffenen und weitergegebenen Informationen sind nicht genetisch verankert. Dazu gehören nicht nur Kunstwerke, Bräuche und Verhaltensweisen, sondern im Prinzip alle Wissenschaftsbereiche, Ideologien, Technologien und andere vom Mensch geschaffenen materiellen und geistigen Werte.

In der Entwicklungsgeschichte der Weltbevölkerung wirkt Globalisierung als ein Prozess der gegenseitigen Durchdringung nationaler Kulturen ineinander. In der Vergangenheit waren der internationale Handel und politische Eroberungen die Hauptanreize der Globalisierung. Heute ist es zum grössten Teil der technologische Zusammenschluss der Volkswirtschaften verschiedener Länder in eine einzige Weltwirtschaft. Globalisierung ist ein objektiver Prozess. D.h. der Prozess als solches schreitet fort, unabhängig davon, ob wir es wollen oder nicht. Denn jede Gesellschaft benötigt ein funktionierendes System zur Erzeugung und Verteilung von Gütern und ist an der Effizienzsteigerung interessiert. Ein Mittel zur Effizienzsteigerung ist der Austausch kultureller Errungenschaften unterschiedlicher Völker. So nimmt der Globalisierungsprozess seinen Lauf.

Über die Objektivität der Globalisierung reden auch hohe Politiker unserer Zeit.

„Ich denke, wir sollen uns nicht vor Globalisierung fürchten. Das ist ein objektiver Prozess“,

sagte Vladimir Putin in seiner Rede noch im Jahr 2000 [1].

In seinem Buch „The Audacity of Hope: Thoughts on Reclaiming the American Dream“ (2006) äussert sich Barack Obama ebenfalls zum Thema Globalisierung [2]:

           „Wir können die Globalisierung verzögern, jedoch nicht stoppen“.

Dieser Gedanke weist darauf hin, dass die Globalisierung zwar objektiv fortschreitet, jedoch subjektiver Lenkung unterstellt werden kann. Das basiert darauf, dass eine bestimmte Kultur nicht eindeutig genetisch veranlagt und demnach nicht vorbestimmt ist, woraufhin unterschiedliche Kulturvariationen entstehen können. Somit gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Entwicklungsvarianten des Globalisierungsprozesses, welches wie bereits erwähnt, den Entstehungsprozess einer „Weltkultur“ in sich trägt. Theoretisch kann es mehrere Globalisierungskonzepte geben mit jeweils eigenen spezifischen Zielen und Mitteln, welche zwischen den Kulturen unterschiedlich sein können. Wichtig ist die Erkenntnis, dass der objektive Globalisierungsprozess prinzipiell subjektiv regelbar ist.

 

 

Etappen der Globalisierung

Globalisierung gibt es genauso lange wie es Menschen gibt. Jedoch nicht immer war dieses Phänomen allen bewusst. Die Globalisierung als ein objektiver Prozess hat sich eine lange Zeit kaum geäussert, was ein wichtiges Charaktermerkmal der vergangenen Globalisierungsetappe gewesen ist. Das lag zum Teil daran, dass die Technologien und Lebensbedingungen über mehrere Generationen hinweg unverändert blieben und zum anderen Teil daran, dass die Verfügbarkeit der Information darüber, was in der Welt geschieht, sehr begrenzt war. Nur einzelne Menschen haben die Globalisierung unter diesen Umständen wahrgenommen. So entwickelte sich der Globalisierungsprozess beinahe unbemerkt, vorbei am Bewusstsein der Völker. Aufgrund dieser fehlenden Wahrnehmung der Globalisierung war das Dominieren eines einzigen Konzepts - eines einzigen Globalisierungsprojekts, möglich gewesen. Das ist das zweite wichtige Merkmal der vorherigen Etappe der Globalisierung.

Die heutige Etappe der Globalisierung unterscheidet sich wesentlich von der vorhergehenden. Zwar ist das führende Globalisierungskonzept dasselbe geblieben, jedoch endet die Realisierung dieses Konzepts in der Sackgasse. Das äussert sich heute in der aktuellen Systemkrise (im ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Bereich). In einigen Kreisen bezeichnet man diese Systemkrise als die “Krise des Kapitalismus”. Sie ist Folge der immer schneller fortschreitenden technischen Entwicklung der Zivilisation. Der schnelle technische Fortschritt hat ebenfalls die Logik des Sozialverhaltens der Gesellschaft geändert. Als früher die Technologien und damit die Lebensumstände sich relativ langsam geändert haben, war ein einst gelernter Beruf für einen Menschen in der Regel ausreichend als Basis für das gesamte Leben. Heute erneuern sich die Technologien im Laufe von einer Menschengeneration mehrfach, was uns zwingt, lebenslang immer wieder neues Wissen anzueignen und nach Methoden zu suchen, neues Wissen zu entwickeln. Gleichzeitig ist die Zugänglichkeit zur Information heute beträchtlich einfacher geworden. Und so zwingen uns die anwachsenden globalen Probleme nach Lösungen zu suchen. Die neuartigen Herausforderungen haben es unumgänglich gemacht, den Globalisierungsprozess zu erkennen und einzusehen - nicht nur auf der Ebene der “Führungselite”, sondern auch auf der Ebene des Volkes. Die Erkenntnis der Globalisierung als einen objektiven Prozess hat gleich mehrere “alternative” Globalisierungskonzepte hervorgerufen (Chinesisches, Japanisches und Russisches). Im Weiteren werden wir jedoch zunächst über das derzeit dominierende Konzept sprechen.

 

Dominierendes Globalisierungskonzept

Die Kernessenz des dominierenden Globalisierungskonzepts bildet das Streben nach Erhaltung der “massen-elitären” Gesellschaftsstruktur. Dieses Phänomen wurde bereits am Ende des 19. Jahrhunderts vom französischen Soziologen Gustave Le Bon in seinem Werk „Psychologie der Massen“ [3] beschrieben. Die Bezeichnung des Phänomens spricht für sich: die Gesellschaft ist gespaltet in “Masse” und “Elite”. Per Definition nach Wissarion Belinski:

„Die Masse ist eine Menschensammlung, deren Leben durch Tradition und die Denkweise von Autoritäten bestimmt werden“[4].

Die mehrheitliche Masse wird in Gehorsamkeit gehalten durch die “Elite”, welche sich aus all denjenigen zusammensetzt, wer über die Dynamik der gesellschaftlichen Prozesse tiefgründiger informiert ist und Machtprivilegien geniessen kann. Diese ungleiche Spaltung der Gesellschaft beruht im Grunde genommen auf der Verteilung von Information mit weltanschaulichem Charakter. Das erlaubt der “Elite” für ihre Führungstätigkeit einen Monopolpreis einzunehmen. Die Erkenntnis eines subjektiven Konzepts hinter diesen Tatsachen führt zur Spekulation über die möglichen Ziele - denn jedes Konzept setzt Ziele voraus. Eine historische Betrachtung des Globalisierungsprozesses lässt ein spezifisches Merkmal erkennen, welches als ein mögliches Ziel angesehen werden kann: Die Erhaltung der “massen-elitären” Gesellschaftsstruktur und Sicherung des Monopols in der Realisierung des Globalisierungskonzepts.

Wie vorher im Text erwähnt, können die Mittel zur Realisierung eines bestimmten Ziels unterschiedlich sein. So greift das heute dominierende Globalisierungskonzept ebenfalls zu unterschiedlichen Szenarien zur Verwirklichung des ein und desselben Ziels. Im Folgenden werden diese kurz erläutert.

Das heute bekannteste Szenarium ist der Bourgeois-Liberalismus, welcher sich vor allem durch folgende Merkmale auszeichnet:

  • Er basiert auf dem Kult des Individualismus, welcher die Einzelperson auf eine hypertrophe Weise über der Allgemeinheit hervorhebt;
  • Er setzt auf liberale Marktwirtschaft, welche auf dem Prinzip der freien Produktion-Konsum-Beziehung aufbaut, in der Regel ohne Einwirkung des Staates. Diese Tatsache bewirkt eine Aufspaltung der Gesellschaft in Reiche und Arme;
  • Der soziale Status ist abhängig von der Höhe des finanziellen Vermögens, welches den Wohlstand bestimmt. Als Folge ergibt sich eine niedrige soziale Sicherheit für die mehrheitliche Bevölkerung. Theoretisch haben alle die gleichen Rechte, doch in der Praxis kann bei Weitem nicht jeder sie realisieren: nur finanziell starke Personen können sie im vollen Umfang verwirklichen;
  • Er proklamiert das Prinzip der “Toleranz”, den “Pluralismus” und “Religionsfreiheit”. Somit können in ihm mehrere Religionen zusammenleben.

Das zweite Szenarium ist der „Pseudo-Sozialismus“ von K. Marx, welches sich wesentlich von vorher erwähnten Liberalismus unterscheidet. Seine Hauptmerkmale sind:

  • Weltweiter, revolutionär-terroristischer Übergang zum Pseudo-Sozialismus und Errichtung des Diktats des „Welt-Proletariats“;
  • Ausschliesslich staatliche Planwirtschaft;
  • Eine einzige Ideologie und keine Tolerierung fremder Ideologien;
  • Sehr begrenzte individuelle Freiheiten im Vergleich zum Bourgeois-Liberalismus;
  • Eine hohe soziale Sicherheit aufgrund des Verschwindens der Konsum-Hetze in der Planwirtschaft und geplanter Deckung demographisch bedingter Bedürfnisse der Bevölkerung.

Das dritte Szenarium ist die Konvergenz des Pseudo-Sozialismus von K. Marx mit dem Bourgeois-Liberalismus. Die Idee ist, das Beste aus den beiden Varianten zusammen zu führen und umzusetzen:

  • Ein Teil der individuellen Freiheiten wird wie im Bourgeois-Liberalismus erhalten, während ein gewisses Gleichgewicht zwischen persönlichen und gesellschaftlichen Freiheiten vollzogen wird. Heute bereits äussert sich diese Tendenz in der Idee des Kommunitarismus [6], welche die Verantwortung des Individuums gegenüber seiner Umgebung betont. Der gesellschaftliche Wohlstand soll dabei durch das Verständnis der Folgen der übermäßigen Hervorhebung des Individuums über der Gesellschaft erreicht werden; 
  • Kombination der Mechanismen der staatlichen Planwirtschaft und der Marktwirtschaft;
  • Eine hohe soziale Sicherheit durch: a) Bewältigung der ökologisch-biosphären Krise (da die Konsum-Hetze gebremst wird) und b) Deckung der demographisch bedingten Bedürfnisse der gesamten Bevölkerung durch gezielte Planwirtschaft mit Elementen des freien Markts.

 

Das vierte Szenarium ist das weltweite pseudo-islamische Kalifat. Diese Variante ähnelt sehr dem Pseudo-Sozialismus von K. Marx und hat in einigen Kreisen den Namen „die Grüne Internationale“ bekommen:

  • Per Definition ist das Kalifat ein islamischer theokratischer Staat. Jedoch nennt sich diese Variante pseudo-islamisch, weil sie im Kern dem Koran widerspricht;
  • Ebenso wie bei der pseudo-sozialistischen Variante ist der Übergang zur „radikal-islamischen“ Ideologie mit Gewalt verbunden, was heute als “islamischer Fundamentalismus” oder “Extremismus” bekannt ist;
  • Die Entfaltung dieser Variante kann man heute an den Ereignissen im Nahen Osten beobachten, wo der „Arabische Frühling“ relativ friedliche Regierungsformen durch radikale pseudo-islamische Gruppierungen ersetzt hat. Dadurch entsteht eine Tendenz zur Formierung eines aggressiv gestimmten Kalifats, denn das Elend, welches als Folge des „Arabischen Frühlings“ in den betroffenen Staaten eingekehrt ist, führt zur sozialen Verdrossenheit und entzündet die Gesellschaft nach dem gleichen Prinzip, wie es in den 20er - 30er Jahren des 20. Jahrhunderts in Deutschland geschehen ist;
  • Dieses Szenarium erfüllt die gleiche Zielsetzung wie der marxistische Variante: Reduzierung des übermässigen Konsums und der Verbreitung des Individualismus-Kults. Der Unterschied liegt nur in der Ideologie, welche als Hülle zur Umsetzung des gleichen Ziels dient.

 

Die dominierende Kultur: ihre Errungenschaften und Probleme

Von allen oben vorgestellten Szenarien zur Umsetzung des dominierenden Konzepts, hat heute ein Szenarium die Weltkultur geformt: der Bourgeois-Liberalismus. Diese Variante ist deshalb dominierend, weil sie heute in nahezu jeder Nation mehr oder weniger aufzufinden ist – sei es in die Technik, im Kredit- und Finanzwesen oder in die „modernen“ Weltanschauung. In den Westlichen Ländern ist diese Kultur nur am deutlichsten ausgeprägt und der Westen ist heute der primäre Treiber der Globalisierung nach dieser Variante. Im Weiteren werden die hervorstechenden Merkmale des Bourgeois-Liberalismus erleuchtet.

Der Individualismus

In erster Linie ist das der Individualismus – eine Sonderform des Weltbilds, welche die persönlichen Ziele und Interessen eines Individuums hoch priorisiert und seine Freiheit und Unantastbarkeit vor der Gesellschaft unterstreicht. Der Individualismus ist im Westen sehr ausgeprägt und verbreitet sich zunehmend in andere Weltregionen. In Wirklichkeit hat sich dieser Individualismus im Westen in eine Art Atomismus ausgeartet – eine Vorstellung, gemäss welcher die Gesellschaft aus isolierten Individuen besteht, die sich ausschliesslich nur auf sich selbst verlassen und sich untereinander zu nichts verpflichten. Die Verantwortung gegenüber dem Umfeld nimmt ab, die Erwartung jedoch, dass die persönlichen Rechte und Freiheiten respektiert werden, steigt. Das kommt sehr gut zum Vorschein im weit verbreiteten Marketing, welches auf das Ego als “das Element” abzielt: “Du”, “Deine Zeit”, “Deine Interessen”, “nur für Dich”, “i-Pad”, “iPod” und andere “i-” (ich-) Produkte. 

Psychologische Untersuchungen haben bereits mehrfach gezeigt, dass die Zugehörigkeit zu einer Gruppe eine von vielen grundlegenden Bedürfnissen des Menschen ist [7]. Sozialpsychologen sprechen von Affiliation - einem Bedürfnis nach sozialem Kontakt. Eine positive soziale Identität mit dem Gefühl, irgend einer Gruppe anzugehören und sie zu repräsentieren ist eine Notwendigkeit eines Menschen. So ein soziales Umfeld vermittelt ein positives emotionales Wertgefühl [8]. Der Atomismus widerspricht in seinem Element den Grundbedürfnissen des Menschen.  Eine völlige Freiheit von seinem Umfeld schadet dem Menschen im Endeffekt. Dieser Aspekt der liberalistischen Kultur bietet einerseits Möglichkeiten, sich individuell zu entfalten und fördert eine Entwicklung individueller Fähigkeiten. Auch entsteht ein Konkurrenzgefühl mit dem Bedarf, sich vor anderen zu behaupten. Jedoch andererseits wird dabei Egoismus kultiviert, was zu einer Diskrepanz zwischen individuellen und gesellschaftlichen Zielen führt. Ferner kann ein Individuum unmöglich zum “Menschen” werden abseits der Gesellschaft ohne sozialer Verbindungen, was zahlreiche Fälle von realen „Maogli“, welche in sozialer Isolation erzogen wurden, belegen [10]. 

Beispielsweise ignorieren bestimmte Gewohnheiten eines Individualisten komplett die Tatsache, dass übermässiger Konsum und die entsprechende Lebensweise nicht mit einer ökologisch nachhaltigen Stabilität der Biosphäre vereinbar ist. Abgesehen davon, erzeugt der gegenwärtige Individualismus eine Neigung hin zum Hedonismus – einer Lebenseinstellung, welche den Lebenssinn im Genuss, Vergnügen und pathologischem Konsum materieller Werte sieht, was als Folge die begrenzten Ressourcen dieser Erde vermahlt. Des Weiteren findet eine Zerstörung der Institution „Familie“ statt und eine Abgeneigtheit Kinder zu haben. In letzter Zeit verbreitet sich in den „führenden Staaten“ immer mehr die sog. „childfree“-Ideologie – ein bewusst gewähltes Leben ohne Kinder.

Das Modell der liberalen Marktwirtschaft

Die kapitalistische liberale Marktwirtschaft ist ein Kennzeichen der dominierenden westlichen Kultur. Sie versteht den monetären Profit als ihr Hauptziel und Sinn des Daseins, um welches sich alles andere dreht. Dabei greift der Staat nicht aktiv in die wirtschaftlichen Prozesse ein. Der Bourgeois-Liberalismus ist eng verbunden mit Atomismus, weil er auf den persönlichen Gewinn, Privateigentum und Privatwirtschaft aufbaut. Ein weiteres Hauptmerkmal der liberalen Marktwirtschaft ist das Zinssystem, welches in seiner Grundessenz ein Wucher ist. Die Finanzierung der Realwirtschaft mit Erhebung eines Zinses zählt als eine normale Praktik in allen westlichen Staaten [11]. Die Ursprünge dieses Wirtschaftsmodells lassen sich bereits im alten Griechenland beobachten, als der athenische Staatsmann und Lyriker Solon, etwa im 600. Jahrhundert v. Chr. sein Reformwerk vollbringt. Das Ergebnis war eine marktorientierte private Warenproduktion, Privateigentum und Vermögenszensus, was die Gesellschaft stufengeteilt hat. Es entwickelte sich eine Sozialstruktur, die durch die Höhe des Privateigentums bestimmt war. Das Zinssystem war dort eine normale Praktik. Über den Zins können wir ebenfalls in der Bibel nachlesen – in einer positiven Weise, im Sinne seiner Zulässigkeit (das 5. Buch Mose, 23:19–20), als auch in einer negativen Weise bzw. seines Verbots (Exodus, 22:25; das 3. Buch Mose (Levitikus) 25:35-37; Prophet Ezechiel 18:11-13). Gemäss dem deutschen Soziologen Max Weber [12] nimmt der gegenwärtige Kapitalismus seinen Ursprung in einer der christlichen Konfessionsrichtungen – im calvinistischen Protestantismus. Dort herrscht die Vorstellung, dass die Rechtschaffenheit sich in persönlichem Erfolg, im materiellen Wohlstand äussert. Der Calvinismus förderte die Idee des Zinses als einen natürlichen Weg zur Erlangung eines Profits und die westliche Zivilisation entwickelte sich weitgehend unter legalisiertem Zinssystem [13].

Die liberale Marktwirtschaft erweitert die Möglichkeiten des Privateigentums, fördert die Geschäftsinitiative „von unten“, verringert den Einfluss staatlicher Bürokratie auf die Wirtschaft und ermöglicht eine pragmatische und rationale Herangehensweise in der Organisation eines Unternehmens. Das Prinzip „Profit wegen Profit“ arbeitet jedoch auf Kosten der Ökologie und der Gesundheit der Bevölkerung. Als Beispiel hierfür kann man die Technologie der geplanten Produktalterung (planned obsolescence) nennen, welche die Nachfrage künstlich stimuliert, oder die Einführung gesundheitsgefährdender Technologien in der Agrarindustrie zur Reduktion der Herstellungskosten und die Technologie zur Gewinnung des Schiefergases. Abseits der technologisch-bedingten Gefahren führt die liberale Marktwirtschaft auch zur erzwungenen Ausnutzung der Arbeitskraft. Wenn die menschliche Arbeit zum Produkt wird und als ein Unkostenfaktor angesehen wird, entstehen zwangsweise soziale Umstände, welche zu psychologischen Problemen führen können. Soziologen sprechen heute von “Prekariat” - einer Gesellschaftsschicht mit unsicheren finanziellen Verhältnissen und ungewissen Perspektiven [14]. In der Tat gibt es keine Ökonomie ohne eine Planung. Der Markt ist ein ökonomisches Instrumentarium für den Warenverkehr. Der Markt an sich ist nicht in der Lage, volkswirtschaftliche Ziele festzulegen. Es gibt nichts ohne ein Ziel und so werden die Ziele einer Volkswirtschaft „de facto“ unter dem Motto „freier Markt“ von grossen transnationalen Korporationen bestimmt [15]. Sie übernehmen dementsprechend die Funktion der Planung im eigennützigen Interesse. Das ist eine natürliche Eigenschaft des Systems der liberalen Marktwirtschaft. Im Endeffekt leiden die Interessen einer Gesellschaft unter der Macht privater Eigeninteressen. Deutlich zum Ausdruck brachte es der ehem. Präsident des amerikanischen Unternehmens „General Motors“ und ehem. Verteidigungsminister der USA Charles Erwin Wilson im Jahr 1953, als er die Frage beantwortete, wessen Interessen er als künftiger Minister in den Vordergrund stelle – die des Landes oder die des Unternehmens. Mr. Wilson antwortete:

 „Ich denke, das, was für unser Land gut ist, ist auch für General Motors gut, und umgekehrt. Es ist das Gleiche“[16].

Jedoch gerade diese Herangehensweise, wo der wissenschaftlich-technische Fortschritt in erster Linie als Mittel zur Gewinnerzielung angesehen wird, hat die heutige ökologische Krise hervorgerufen. In fast allen Bereichen herrscht eine „Diktatur der Finanzen“. Die bestimmende Rolle spielt nicht der realwirtschaftliche Sektor, sondern das Kredit- und Finanzwesen (einschliesslich der spekulativen Geld- und Kapitalmärkte). Sie produzieren zwar keine realen Güter, geben jedoch “den Ton” an für die Realwirtschaft. Das Verständnis der gegenseitigen Abhängigkeit der Güterproduktion und der Finanzwirtschaft wird invertiert und das Ursache-Wirkung-Prinzip entgegen der Logik gedreht. In diesem Sinne appellierte auch Papst Francis an die Finanzelite, welche sich im Rahmen des WEF im Januar 2014 in Davos versammelten: «Ich bitte euch sicherzustellen, dass der Wohlstand (das Vermögen) der Menschheit dient und nicht die Menschheit regiert» [27]. Dieser Gedanke verdeutlicht das Prinzip der Wechselwirkung der Finanzwelt mit der Realwirtschaft – die Finanzen müssen der Realwirtschaft dienen, anstelle über sie zu herrschen.

Die liberale Marktwirtschaft erzeugt zudem eine Massenarmut. Das erfolgt sowie in den sog. Drittländer-Staaten, wo die Gründe der Armut oft in der Ausbeutung seitens entwickelter westlicher Industrieländer gesehen werden, als auch im entwickelten Westen selbst, wo die Armut im Grunde wegen der sich ständig wandelnden und fortschreitenden Technologielandschaft entsteht. Die aktuelle Statistik der Arbeitslosigkeit in Europa zeigt diese Gegebenheit (in bestimmten Ländern übersteigt sie 25% [17]). In Großbritannien gibt es den Ausdruck “Energiearmut”. Dort gelten Haushalte, welche mehr als 10% des Einkommens für Heizkosten aufwenden müssen, als “energiearm”. 11% aller Haushalte waren gemäss Angaben der britischen Regierung im Jahr 2011 von Energiearmut betroffen [18].

Entwicklung der Wissenschaft und Technik

Im Rahmen der liberalen Marktwirtschaft unterliegt die Entwicklung der Wissenschaften und Technologien in erster Linie dem Grundgedanken dieses Wirtschaftsmodells – der eigennützigen Gewinnerzielung. Das ist der Grund, warum der technische Fortschritt den moralischen Fortschritt der Gesellschaft überholt hat, wobei in vielen Fällen die Technologien der Menschheit schaden.

Die Entwicklung der Technologien diente tatsächlich der Verbesserung der Lebensqualität eines Teils der  Bevölkerung, indem sie ihre demographisch-bedingten Bedürfnisse deckte. Diesen Fortschritt begleitete eine enorme Zunahme von Information, welche mit der Zeit leicht zugänglich geworden ist, was die Logik des Sozialverhaltens geändert hat. Währenddessen jedoch nahm die Umweltverschmutzung immer mehr zu und die biologische Artenvielfalt reduzierte sich, was ein potenzielles Risiko einer Umweltkatastrophe darstellt. Die Naturschutzorganisation WWF bezeugt diese Tatsache in ihrem Bericht für das Jahr 2012 [19].

Es gibt auch ein Risiko technogener Katastrophen oder Kriege mit dem Einsatz von Massenvernichtungswaffen. Die jüngsten Beispiele dafür sind die Nuklearkatastrophe von Fukushima oder die Ölpest im Golf von Mexiko. Darüber hinaus macht der übermässige Einsatz und Anlehnung an die Elemente der Technosphäre den Menschen zur Geisel der Technosphäre. Der Mensch entwickelt sich nicht selbst, nutzt nicht seine physischen und geistigen Potenziale, sondern stützt sich auf Elemente der Technosphäre wie auf Prothesen. Die verbreitete grossflächige Urbanisation ist ein weiteres nennenswertes Merkmal des dominierenden Systems. Die Errichtung moderner Megastädte ist heute mit Hilfe der fortgeschrittenen Technologien möglich geworden und bringt zwar einige Vorteile mit sich, im Ganzen jedoch haben sie eine negative Wirkung auf die Gesellschaft. Die Stadt ist ein künstliches Umfeld für den Menschen. Das führt mit der Zeit zunehmend zu psychologischen und physischen Abnormalitäten bei den Stadtbewohnern und die Reproduktion einer gesunden Bevölkerung wird schwierig aufgrund der mutagenen Wirkung der Stadt auf die Genetik des Menschen. Der Genetiker Nikolay Dubinin hat diese Tatsache noch in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts in seinen Experimenten mit der Taufliege nachgewiesen. Er zeigte auf, dass die Taufliege in der Abfolge der Generationen in einem städtischen Umfeld mutiert. Sie rehabilitierte sich jedoch wieder in ihren ursprünglichen gesunden Zustand ausserhalb der Stadt innerhalb weniger Generationen zurück [20].

 

Die Verkündung der Menschenrechte

Seit Beginn der Revolutionsbewegung in Westeuropa im 19. Jahrhundert wird in der westlichen Welt ein grosser Wert darauf gelegt, dass die unveräusserlichen Menschenrechte in allen Ländern wahrgenommen und beachtet werden. Sie sind niedergeschrieben in zahlreichen internationalen Abkommen. Die bekannteste ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO [21]. In der Grundidee ist das richtig und notwendig, weil dadurch das Vorhandensein bestimmter unveräusserlicher Menschenrechte und die Gleichheit aller Menschen vor Gott erklärt wird. Wenn man die Situation tiefgründiger betrachtet, wird deutlich, dass allein mit Verkündung der Menschenrechte nicht ausreichend für ihre Einhaltung und Umsetzung getan wird. Die Gründe dafür liegen nicht nur im individuellen Willen, sie einzuhalten, sondern mehr darin, dass die Verwirklichung der Menschenrechte auch gewisse Pflichten des Menschen gegenüber der Gesellschaft voraussetzt. Diesem Grundprinzip wird nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Darüber hinaus herrscht auch oft eine Doppelmoral in der Auffassung der Menschenrechte und wie bereits oben erwähnt, trotz der rechtlichen Geltung gleicher Rechte für alle, können sie in der Praxis meist nur finanziell starke Menschen im vollen Umfang realisieren. Die Deklaration der Menschenrechte wird unter anderem begleitet durch die Begriffe der Toleranz und Religionsfreiheit. In der politischen Realität äussert sich Toleranz als eine Forderung, für einen Menschen nicht akzeptable Meinungen oder Ereignisse zu dulden. Die Toleranz ist in dem Sinne gut, dass sie eine Möglichkeit bietet, „anders zu denken“ und seine Gedanken frei zu äussern – zumindest ist es so angedacht. In der Realität kommt es in diesem Hinblick jedoch zur Ausprägung einer Doppelmoral, welche aufgrund einer klaren und einzigen politischen Orientierung einer Volksgruppe entsteht. Das Prinzip der Toleranz erschafft auch Schwierigkeiten in der Beilegung von Meinungsverschiedenheiten zwischen unterschiedlichen Kulturen und Glaubensrichtungen, weil es nicht angebracht ist, sie wahrzunehmen oder über ihr Wesen zu sprechen. Z.B. gibt es zwischen dem Christentum und Islam eine Reihe von Uneinigkeiten, was zur Ursache von realen zwischennationalen Konflikten wird. Jedoch lassen sich diese Konflikte nicht lösen, weil über das Wesen der Substanz nicht angebracht ist zu diskutieren – es wird lediglich Toleranz gefordert.

Die Auffassung der Gerechtigkeit

Der dominierenden westlichen Kultur ist ein spezifisches Verständnis der Gerechtigkeit kennzeichnend. Als gerecht gilt all das, was dem geschriebenen Gesetz nicht widerspricht. Die Anschauung wurde geäussert vom Politiker P. I. Pestel im 19. Jahrhundert in seiner Niederschrift „Russische Wahrheit“ [22]:

 „Die Völker überall sind solche, wie sie die Herrschaft und Gesetz formt, unter welchen sie leben“.

Analog dazu vermerkt B. Obama in seinem Werk „The Audacity of Hope: Thoughts on Reclaiming the American Dream“ unter anderem folgendes:

 „… unsere Gesetzgebung an sich ist per Definition eine Kodifizierung unserer Moralnormen, und vieles darin basiert auf der jüdisch-christlichen Tradition“ [2].

Damit weist Barack Obama unter anderem auf die Bibel, als einen „Quellcode“ der westlichen Kultur, auf den der Westen aufbaut.

Wenngleich so eine Auffassung des Begriffs Gerechtigkeit die Sachbearbeitung im Gericht stark vereinfacht, sind die Mängel deutlich entscheidender. Da die persönliche Verantwortung in der Bestimmung, was gerecht ist und was nicht, auf den Staat übertragen wird, fehlt die Hemmnis, Verbrechen zu begehen, welche mit Zuversicht nicht gesetzlich bewiesen werden können. Ebenso entsteht Spielraum für Kommentatoren von Gesetzestexten, undefinierte Interpretationen und eine Wahrscheinlichkeit einer Verzerrung der Bedeutung.

Die “Exklusivität”

Eine der grundlegenden sozialen Einstellungen der dominierenden Kultur ist Ethnozentrismus. Andere Kulturen werden durch das Prisma der eigenen Kultur wahrgenommen, wobei die Normen und Werte der eigenen Kultur als weitgehend natürlich und korrekt gelten und alles, was sich von ihnen unterscheidet, oft als verkehrt und unentwickelt empfunden wird [23]. Im Westen äussert sich das im Gefühl einer gewissen “Exklusivität” der eigenen Kultur, welche scheinbar über anderen Kulturen steht, teilweise bis hin zum Gefühl der „Auserwähltheit Gottes“. Unter diesen Umständen entsteht ebenfalls eine Doppelmoral im Hinblick auf den Anspruch gewisser Rechte. Dieses Phänomen hat der Politikprofessor John M. Hobson in seinem jüngsten Werk “Das eurozentrische Konzept der Weltpolitik” erleuchtet. Ebenso bestätigte es Barack Obama deutlich mit seiner Rede am 24. September 2013 in der UNO, in der er mitteilte, dass die USA das Recht habe, sich in Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen allein aufgrund ihrer "Exklusivität" [24]. Die Kolonisationsgeschichte der westlichen Mächte belegt diese Worte – die europäische Kolonisierung des amerikanischen Kontinents ist das bekannteste Beispiel.

Dieser Aspekt der dominierenden Kultur hat durchaus Vorteile, denn ein Gefühl einer gewissen “Exklusivität” trägt zum Zusammenhalt eines Volkes bei und erweitert die Möglichkeiten, die Situation in anderen Weltregionen zu verändern unter Ausdehnung des zulässigen Handlungsspielraumes. Die Praxis zeigt jedoch, dass dieser Ansatz äusserst destruktiv ist: er führt zu groben Handlungen, ohne die spezifischen Besonderheiten der betroffenen Region zu verstehen. Die traurigen Folgen der Aktivitäten der USA und Europa in der Rolle der NATO im Nahen Osten sind nur jüngste Beispiele dafür – trotz aller Deklarationen wohlgesinnter Absichten. Konsequenterweise bilden derartige Vorgänge einen transnationalen “Massen-Elitarismus”, in dem die “exklusiven” Nationen die “Elite” sind und die restlichen Nationen die “Masse”, was für die “exklusiven” Nationen scheinbar den Weg öffnet, die “Masse” ökonomisch und ökologisch auszunutzen.

 

Perspektiven eines friedlichen Zusammenlebens der westlichen Zivilisation mit anderen Weltregionen

Die Annäherung an die Frage über die Zukunft der westlichen Zivilisation im Zusammenleben mit anderen Regionen kann durch die Betrachtung der folgenden, bereits beschriebenen Varianten des dominierenden Globalisierungskonzepts erfolgen: der heute herrschende Bourgeois-Liberalismus, marxistischer Pseudo-Sozialismus, Konvergenz und pseudo-islamischer Kalifat.

Dadurch, dass der Bourgeois-Liberalismus nicht zur Lösung der ökologischen Krise beiträgt, hat er eine grosse Wahrscheinlichkeit in einer Biosphärenkatastrophe zu münden. Aus diesem Grund kann diese Variante nicht im Sinne einer Perspektive erachtet werden – sie ist selbstmörderisch für die Menschheit.

Die anderen drei Varianten haben alle ein gemeinsames Merkmal: sie stoppen die Hetze nach Konsum und lösen damit das ökologische Problem. Jedoch wie bereits erwähnt, setzen der Kalifat und der Pseudo-Sozialismus einen mit Gewalt verbundenen Übergang zur neuen Ideologie voraus. Das wäre nicht friedvoll und deswegen eher unerwünscht. Dennoch spüren wir heute eine Tendenz zur Anheizung eines Konflikts zwischen der christlichen und der islamischen Welt, was auf eine Teilrealisierung des pseudo-islamischen Kalifats deutet. Dem widerstehen könnte man durch eine objektive Erleuchtung der Ereignisse in den Massenmedien. Heute neigen viele westlichen, teilweise amerikanischen Medien dazu, die Ereignisse im Nahen Osten so darzustellen, dass ein negatives Bild von Muslimen und dem Islam entsteht. Neben der objektiven Darstellung in den Massenmedien sollen auch Politiker und einfache Bürger ihren Interessenskreis erweitern und die heiligen Schriften – die Bibel und den Koran – in den Bereich ihrer Neugier aufnehmen und sie erkunden, damit eine eigene Vorstellung über diese Glaubensrichtungen sich bilden kann, welche massenmedienfrei ist und zur Lösung potenzieller Konflikte beitragen könnte.

Anschliessend soll ein weiterer wichtiger Punkt ins Auge gefasst werden, welcher mit dem Wandel der Logik des Sozialverhaltens zusammenhängt und damit einen direkten Einfluss auf die Gesellschaftsstruktur hat. Das “Massen-Elitäre” System basiert auf einer gezielten Abgrenzung des Wissens: für die “Elite” eher ganzheitlicheres Wissen, für die “Masse” – fragmentarisches. In früherer Zeit ist auf Basis dieser Wissensteilung eine durch Kasten geprägte Gesellschaft normal gewesen, weil das gleichbleibende und unveränderte technologische Umfeld es erlaubte, ein spezifisches Wissen und Können über Generationen weiterzugeben. Es gab keine Notwendigkeit, qualitativ neues Wissen zu erlangen – die Weitergabe der erlernten Fähigkeiten an den Nachwuchs war ausreichend für die Versorgung der ganzen Familie. Ferner stieg dabei die Professionalität innerhalb der einzelnen Tätigkeitsbereiche. D.h. die “masse-elitäre” Gesellschaftsstruktur war zu dieser Zeit zu einem gewissen Grad angemessen und entsprach den Lebensumständen. Heute ist es anders: eine einzige Generation lebt in einem Umfeld, welches sich aufgrund des fortschreitenden Technologiewandels immer weiter verändert. Das Wissen und gewisse Fähigkeiten veralten dabei schnell, sodass wir aufgefordert werden, ständig und schnell neues Wissen zu erlangen, uns weiter- und umzuschulen. Dieser Umstand ist das Schlüsselmerkmal der neuen Logik des Sozialverhaltens. Diese Situation macht das Prinzip der generationsübergreifenden Weitergabe von Professionalität äusserst unbeständig und ist in diesen Umständen unangemessen. Wenn jedoch der Wille besteht, ist es heute möglich, in jede Tätigkeitsbranche hineinzutreten und dort sogar besser zu sein, als die eingesessenen “Meister”, welche über den Familienstamm dort tätig sind. Das Internet erlaubt uns heute, nahezu jede Art von Information zu erlangen. Genau aus diesem Grund wird der “Massen-Elitarismus” als ein Gesellschaftsmodell in der Geschichte verschwinden. Er wird ersetzt durch eine qualitativ andere Gesellschaftsstruktur. Der Logik folgend wäre jedoch zu erwarten, dass versucht wird, die noch bestehende “massen-elitäre” Gesellschaftsstruktur zu erhalten, einfach aufgrund der Beharrung der gewohnten Denkweise des Menschen, vor allem in Kreisen der „Elite“. Unter Berücksichtigung des vorher Gesagten, erscheint die Variante der Konvergenz des Westens hin zu den Ideen des Sozialismus als die Wahrscheinlichste. Eine solche Tendenz des heute dominierenden Globalisierungskonzepts ist bereits spürbar: Proteste gegen die Macht des Bankensystems, immer grösser werdende Bewegungen hin zur Permakultur und andere alternative Bewegungen, welche grösstenteils „links“-gestimmt sind. In diesem Sinne spricht auch Dominique Strauss-Kahn [25]:

“[…] Auf lange Sicht ist ein nachhaltiges Wachstum mit einer gerechteren Gewinnverteilung verbunden. […] Wir brauchen eine neue Form der Globalisierung, eine gerechtere Form der Globalisierung, eine Globalisierung mit einem menschlichen Gesicht. […] Die Früchte des Wachstums müssen breit verteilt und nicht von nur einigen Privilegierten eingenommen werden. […]”

Analog dazu, äusserte Benedikt XVI in seiner Enzyklika “Die Liebe in der Wahrheit” die Notwendigkeit einer neuen Herangehensweise an die Globalisierung, welche von dem Prinzip “eigennütziger Gewinn um jeden Preis” abtritt [26]. Die gleiche Position vertritt der heutige Papst Francis [27]. In Europa gibt es sogar ein Land, welches als Beispiel für eine solche Entwicklung des Westens als Ganzes herangezogen werden kann: Schweden. Der schwedische Sozialstaat ist traditionell gekennzeichnet von einem hohen sozialen Schutz-Niveau mit flächendeckender Versorgung und Solidarität, einem umfangreichen öffentlichen Sektor, einer niedrigen Arbeitslosenrate, einer Regulierung des Arbeitsmarkts, die in großem Maße auf Tarifübereinkünften beruht, sowie vergleichsweise hohen Wachstumsraten. Im Einklang mit der Konvergenz liegen auch die Ansichten des US-Präsidenten B. Obama, welche er einerseits in seinem Buch schildert und andererseits in seinen Wahlversprechen geäussert hat (welche er bis heute noch nicht realisiert hat). Die Idee der Konvergenz gewährt ein eher friedvolles Zusammenleben unterschiedlicher Weltregionen, weil der Übergang hin zum “Sozialismus” allmählich und reformatorisch geschieht, ohne abrupte Erschütterungen.

Es ist nur eine Frage der Ziele, welche durch die Reformation angestrebt werden – und zwar geht es um die tatsächlichen Ziele und nicht um die deklarierten. Wenn es darum geht, den “Massen-Elitarismus” zu erhalten, nur in einer neu gestalteten Form, dann wird es ein Pseudo-Sozialismus; wenn es jedoch darum geht, die Ausbeutung von Menschen durch andere Menschen zu unterbinden – dann kann ein wirklicher Sozialismus entstehen. Das Letztere ist jedoch bereits ein ganz anderes Ziel – eine andere Art von Gesellschaftsstruktur und folglich ein anderes Globalisierungskonzept

Einen alternativen Blick auf die Idee der Konvergenz haben wir im Rahmen der Konferenz am 22. März 2013 in Brüssel vorgestellt (Information derzeit nur in russischer Sprache).

http://newyouthpolicy.org/ru/articles-ru/109-brussel-22-marta-2013

Youtube: http://www.youtube.com/watch?v=V_RmLUKr1n8 


 

[1] — Answers to Questions from Participants in the APEC Business Meeting in Shanghai, 19. Oktober 2001 — http://archive.kremlin.ru/eng/speeches/2001/10/19/0000_type82914type84779_137395.shtml

[2] — Book: Barack Obama, The Audacity of Hope. Thoughts on reclaiming the American dream. — http://www.worldcat.org/title/audacity-of-hope-thoughts-on-reclaiming-the-american-dream/oclc/811487952?referer=&ht=edition

[3] — Gustave Le Bon. "The Crowd: A study of the popular mind" – http://archive.org/stream/crowdastudypopu00bongoog#page/n5/mode/2up

[4] — Wissarion Grigorjewitsch Belinski (1811-1848), „Die Gedichte M. Lermontows“. Original: http://az.lib.ru/b/belinskij_w_g/text_2110.shtml

[6] — siehe z. B. Sozialpsychologe David Myers: «Social Psychology, 11/e».

[7] — siehe z. B. „Die Affiliationstheorie von Schachter“ oder „Grundriss der Sozialpsychologie: Individuum - Gruppe – Gesellschaft“ von Alexander Thomas

[8] — Tajfel H. Social Categorization, Social Identity and Social Comparison. In H. Tajfel (Ed.) Differentiation between Social Group / L.: Academic Press, 1978. P.61-76.

[9] — Alexei Nikolajewitsch Leontjew: Tätigkeit, Bewusstsein, Persönlichkeit. Berlin, Lehmanns Media, 2012.

[10] — http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfskind

[11] — Über weltweite Folgen einer Einführung des Zinssystems in die Ökonomie siehe z.B. „Die Geschichte vom Goldschmied Fabian - Gib mir die Welt plus 5%“ - http://www.youtube.com/watch?v=_h0ozLvUTb0. Siehe auch Publikationen der Professoren Dieter Suhr, Jürgen Kremer, Helge Peukert, Bernd Senf oder Franz Hörmann.

[12] — Max Weber: “Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus” (1904) — http://www.zeno.org/Soziologie/M/Weber,+Max/Schriften+zur+Religionssoziologie/Die+protestantische+Ethik+und+der+Geist+des+Kapitalismus

[13] — Die Geschichte des „Westens“ kennt jedoch eine Ausnahme: Der Zeitraum von ca. der Mitte des 12. bis Ende des 13. Jahrhunderts, welcher als Teil der kräftigsten Wachstumsperiode der europäischen Gesellschaften vor der Industrialisierung im 19. Jahrhundert betrachtet wird. Zum einen herrschte in dieser Zeit ein offizielles kirchliches Zinsverbot und zum anderen war das Ansparen von Geld sehr risikoreich, weil die Geldmünzen schnell ihren Wert verloren. Diese Tatsache führte zu einem enormen Geldumlauf, was die Wirtschaft erblühen lies. Lesen Sie z.B. Jacques LeGoff. „Geld im Mittelalter“ (2011).

[14] — Berthold Vogel: Das Prekariat – eine neue soziale Lage? In: Robert Castel, Klaus Dörre (Hrsg.): Prekarität, Abstieg, Ausgrenzung. Die soziale Frage am Beginn des 21. Jahrhunderts. Campus, Frankfurt am Main / New York 2009, S. 197–208

[15] — S. Vitali, J.B. Glattfelder, and S. Battiston: “The network of global corporate control”, Systems Design, ETH Zurich

[16] – So lautete die ursprüngliche Aussage Wilsons. Jedoch wird seine Phrase im Volksmund anders zitiert: „Was gut ist für „General Motors“ ist auch gut für die USA“, wogegen Wilson im Grunde nichts dagegen hatte. http://www.freep.com/article/20080914/BUSINESS01/809140308/GM-s-Engine-Charlie-Wilson-learned-live-misquote

[17] — Arbeitslosenquote in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union im Dezember 2013: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/160142/umfrage/arbeitslosenquote-in-den-eu-laendern/

 [18] — Fuel Poverty Report Updated August 2013. Department of Energy and Climate Change, UK: https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/226985/fuel_poverty_report_2013.pdf

[19] — Auszug aus dem „Living Planet Report“ (2012): „Der globale Living Planet Index (LPI), welcher die Biodiversität spiegelt, ging zwischen 1970 und 2008 um fast 30 % zurück. Der Index für tropische Regionen ging in der gleichen Zeit insgesamt um 60 % zurück. Viele Gebiete mit ökologisch wichtiger Biodiversität erbringen zentrale Ökosystemdienstleistungen wie Kohlenstoffspeicherung, Produktion von Brennholz, Bereitstellung von Süßwasser und Fischbeständen. Menschliche Eingriffe beinträchtigen die künftige Bereitstellung dieser Leistungen. Der Verlust von Biodiversität und von damit verbundenen Ökosystemdienstleistungen betrifft insbesondere arme Menschen, deren Überleben unmittelbar von diesen Leistungen abhängt.“ http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Living_Planet_Report_2012.pdf

[20] — Dubinin, N. P.: „Ewige Bewegung“, Moskau, 1973. Original (russisch-sprachig): http://publ.lib.ru/ARCHIVES/D/DUBININ_Nikolay_Petrovich/_Dubinin_N.P..html#002

[21] — Resolution 217 A (III) der Generalversammlung vom 10. Dezember 1948: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – http://www.un.org/depts/german/grunddok/ar217a3.html

[22] — I. Pavel Pestel’: Russkaja Pravda (Russische Wahrheit). In: Gerhard Dudek (Hrsg.): Die Dekabristen. Dichtungen und Dokumente. Insel-Verlag, Leipzig 1975. Original: http://www.history.ru/content/view/1148/87/1/15/

[23] — Berry, John W; Poortinga, Ype H; Segall, Marshall H; Dasen, Pierre R (2002), Cross-cultural psychology: Research and applications (2nd ed.), Cambridge: Cambridge University Press, ISBN 0-521-64617-0, retrieved 24 June 2010 - http://books.google.ru/books?id=Z_7k7Xj28ncC

[24] — "... rightly concerned about issues back home, aware of the hostility that our engagement in the region has engendered throughout the Muslim world -- may disengage, creating a vacuum of leadership that no other nation is ready to fill. [...] I believe America is exceptional -- in part because we have shown a willingness through the sacrifice of blood and treasure to stand up not only for our own narrow self-interests, but for the interests of all." Remarks by President Obama in Address to the United Nations General Assembly. 24 September 2013. http://www.whitehouse.gov/the-press-office/2013/09/24/remarks-president-obama-address-united-nations-general-assembly

[25] — Video: http://www.youtube.com/watch?v=-k193dkNKC4 ; Originaltext: „Over the longer term, sustainable growth is associated with a more equal income distribution. We need a new form of globalization, a fairer form of globalization, a globalization with a more human face. The benefits of growth must be broadly shared, not just captured by a privileged few.“ http://www.imf.org/external/np/speeches/2011/040411.htm

[26] — Encyclical letter “Caritas in Veitate” of the supreme pontiff Benedict XVI. http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/encyclicals/documents/hf_ben-xvi_enc_20090629_caritas-in-veritate_en.html

[27] — Papst Franziskus: Vernichtende Kritik am Kapitalismus — http://internetz-zeitung.eu/index.php/1179-papst-franziskus-kritisiert-den-perversen-kapitalismus-vor Originalbotschaft des Papst Francis an das World Economic Forum in Davos 01/2014: http://forumblog.org/2014/01/pope-francis-message-davos-2014/

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